Dokumentation der Aufführung

… und die Schrift tönt

Freitag, 4. Mai 2012, 19 Uhr
Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3, 10115 Berlin

Uraufführung von
„Mnemosyne. Nach einem Gedicht von Friedrich Hölderlin. Für Sprechstimme, Sopran, Sopransaxophon und Vibraphon“ und weitere Kompositionen von Joachim Gies

…am Eingang zur Villa Elisabeth
…in gespannter Erwartung

Programm

Tasten und Auftreten

Vibraphon, Altsaxophon, Perkussion

Mnemosyne

Text: Friedrich Hölderlin

Uraufführung des Kompositionsauftrags der A und A Kulturstiftung

Sopran, Sprechstimme, Vibraphon, Sopransaxophon und Fußcabasa

…während der Uraufführung (Foto: Joachim Bootz 2012)

Belauschte Unschärfe

Posaune, Sopranino- und Altsaxophon, Perkussion

…aufeinander eingespielt (Foto: Joachim Bootz 2012)

Das Leben ist eine fortwährende Ablenkung

Texte: Franz Kafka

Sprechstimme, Posaune, Tenorsaxophon, Perkussion

Im Fahrtwind

Vibraphon, Sopran, Altblockflöte, Sansula, Perkussion

…Stimme als Instrument (Foto: Joachim Bootz 2012)

Pentimenti

Sopran, Posaune, Tenorsaxophon, Vibraphon, Perkussion, Stylophon

…Stylophone (Foto: Joachim Bootz 2012)

Im Anschluss, gegen 21 Uhr:

Aufführung im Treppenhaus und Foyer

Akustische Verwirrung

Sopran, Posaune, Alt- und Tenorsaxophon, Vibraphon, Perkussion, Melodika, Mundharmonika

Mitwirkende

Mitwirkende bei der Uraufführung

Gesine Nowakowski Sopran
Gerd Wameling Sprecher
Joachim Gies Saxophon
Franz Bauer Vibraphon

Weitere Mitwirkende

Florian Juncker Posaune
Denis Stilke Perkussion
Musiker, Raum und Bildobjekte
…Musiker, Raum und Bildobjekte (Foto: Joachim Bootz 2012)

Bildobjekte im Bühnenraum

Ulrich Werner

Installation im Erdgeschoss

Salzspiegel

Carola Czempik Objekte
Betina Kuntzsch Videoprojektion
Joachim Gies Klanginstallation
…alle Beteiligten: (von links nach rechts): D. Stilke, G. Wameling, G. Nowakowski, J. Gies, B. Kuntzsch, F. Bauer, U. Werner, F. Juncker, C. Czempik (Foto: Joachim Bootz 2012)

Aufzeichnung

Texte

Mnemosyne

Friedrich Hölderlin

Reif sind, in Feuer getaucht, gekochet
Die Frücht und auf der Erde geprüfet und ein Gesez ist
Daß alles hineingeht, Schlangen gleich,
Prophetisch, träumend auf
Den Hügeln des Himmels. Und vieles
Wie auf den Schultern eine
Last von Scheitern ist
Zu behalten. Aber bös sind
Die Pfade. Nemlich unrecht,
Wie Rosse, gehn die gefangenen
Element’ und alten
Geseze der Erd. Und immer
Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Vieles aber ist
Zu behalten. Und Noth die Treue.
Vorwärts aber und rükwärts wollen wir
Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie
Auf schwankem Kahne der See.

Wie aber liebes? Sonnenschein
Am Boden sehen wir und trokenen Staub
Und heimatlich die Schatten der Wälder und es blühet
An Dächern der Rauch, bei alter Krone
Der Thürme, friedsam; gut sind nemlich
Hat fernher gegenredend die Seele
Ein Himmlisches verwundet, die Tageszeichen.
Denn Schnee, wie Majenblumen
Das Edelmüthige, wo
Es seie bedeutend, glänzet auf der grünen Wiese
Der Alpen, da,
Vom Kreuze redend, das
Gesezt ist unterwegs einmal
Gestorbenen, auf hoher Straß
Ein Wandersmann geht zornig,
Fern ahnend mit
Dem andern, aber was ist diß?

Am Feigenbaum ist mein
Achilles mir gestorben,
Und Ajax liegt
An den Grotten der See,
An Bächen benachbart dem Skamandros.
An Schläfen Sausen einst, nach
Der unbewegten Salamis steter
Gewohnheit, in der Fremd’, ist groß
Ajax gestorben.
Patroklos aber in des Königes Harnisch. Und es starben
Noch andere viel. Am Kithäron aber lag
Elevtherä, der Mnemosyne Stadt. Der auch als
Ablegte den Mantel Gott, das abendliche nachher löste
Die Loken. Himmlische nemlich sind
Unwillig, wenn einer nicht die Seele schonend sich
Zusammengenommen, aber er muß doch; dem
Gleich fehlet die Trauer.

Nach: Sämtliche Werke und Briefe, hg. v. M. Knaupp, München 1992, Bd. 1, S. 437. f.

Das Leben ist eine fortwährende Ablenkung

Franz Kafka: Fragmente aus Heften und losen Blättern

Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich. Diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen. Wenn einer schnell geht und man hinhorcht, etwa in die Nacht, wenn alles ringsherum still ist, so hört man zum Beispiel das Scheppern eines nicht genug befestigten Wandspiegels.
Das erste Oktavheft, Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 41

Der tiefe Brunnen. Jahre braucht der Eimer, um heraufzukommen, und im Augenblick stürzt er hinab, schneller als du dich hinabbeugen kannst; noch glaubst du, ihn in Händen zu halten, und schon hörst du seinen Aufschlag in der Tiefe, hörst nicht einmal ihn.

Stummheit gehört zu den Attributen der Vollkommenheit.
Aphorismen aus dem Nachlass, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 252

Einmal brach ich mir das Bein, es war das schönste Erlebnis meines Lebens.
Fragmente aus Heften und losen Blättern, Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 205

Alles, selbst das Gewöhnlichste, etwa das Bedientwerden in einem Restaurant, muß er sich erst mit Hilfe der Polizei erzwingen. Das nimmt dem Leben alle Behaglichkeit.
Bd. 6, S. 304

Auf Balzacs Spazierstockgriff: Ich breche alle Hindernisse. Auf meinem: Mich brechen alle Hindernisse. Gemeinsam ist das >alle<
Bd. 6, S. 204

Daß Leute, die hinken, dem Fliegen näher zu sein glauben als Leute, die gehn. Und dabei spricht sogar manches für ihre Meinung. Wofür spräche nicht manches?
Bd. 6, S. 197

Geständnis und Lüge ist das Gleiche. Um gestehen zu können, lügt man. Das, was man ist, kann man nicht ausdrücken, denn dieses ist man eben; mitteilen kann man nur das, was man nicht ist, also die Lüge. Erst im Chor mag eine gewisse Wahrheit liegen.
Bd. 6, S. 249

Das Leben ist eine fortwährende Ablenkung, die nicht einmal zur Besinnung darüber kommen lässt, wovon sie ablenkt.
Bd. 6, S. 242

Die Menschengeschichte ist die Sekunde zwischen zwei Schritten eines Wanderers.
Bd. 6, S. 54